von: Gerlinde Schoer-Petry
Ein großes Tanzprojekt des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und Darmstadt für tanzbegeisterte Laien zwischen 14 und 80 Jahren, bei dem ich teilgenommen habe, „#Mensch“, widmete sich tänzerisch der Zukunft des Menschen in der digitalen Welt. Das Stück wurde im Juni 2019 in Darmstadt und in Wiesbaden im Großen Haus aufgeführt. Dieses Projekt hat mich motiviert, mich intensiv mit dem Thema Digitalisierung und Künstliche Intelligenz zu beschäftigen, und passend dazu habe ich aus der Presse von der Roboterfrau „Elenoide“ erfahren, die gerade aus Japan in der TU Darmstadt eingetroffen war.
Ich bin ehrenamtlich aktiv im Seniorentreff LAB (Lebensabendbewegung – Leben aktiv bereichern). So war es für mich naheliegend, gemeinsam mit einer Gruppe von interessierten Seniorinnen und Senioren aus Wiesbaden die TU Darmstadt besuchen, um die Androidin Elenoide zu erleben und wenn möglich, mit ihr zu kommunizieren. Wir würden uns über Forschung, Anwendungsmöglichkeiten und Risiken Künstlicher Intelligenz auf unser Leben und das Leben unserer Enkel informieren. Insbesondere stellten sich Fragen nach den Einsatzmöglichkeiten und der Rolle von menschenähnlichen Robotern. Androiden, Roboter in Menschengestalt regen nicht nur die Fantasie von Filmemachern an wie z.B. im Spielfilm von Maria Schrader „Ich bin Dein Mensch“, sie sind wie Elenoide (jetzt Lena) Objekte der Grundlagenforschung.
Im Rahmen des Jahresthemas 2019/20 der Akademie für Ältere „Digitalisierung … und ich !!?“ in Wiesbaden haben sich viele Ältere mit unserer digitalen Gegenwart und Zukunft kritisch auseinandergesetzt und sich mit der Anwendung neuer Medien vertraut gemacht bzw. ihre Nutzung vertieft. Ein Besuch in der TU Darmstadt könnte den Blick auf die Zukunftstechnologien erweitern, verbunden mit Perspektiven, bei denen widersprüchliche Gefühle bei mir auftauchen, einerseits die Faszination der Technik und andererseits ein Unbehagen beim Gedanken an die Beherrschbarkeit der Produkte menschlicher Intelligenz.
Eine Anfrage für einen Besuch im Zukunftslabor „Leap in Time Lab“ (in deutscher Übersetzung: „Zeitsprung“) stieß in Darmstadt auf großes Interesse:
„Wir freuen uns über Ihr Interesse und den geplanten Besuch bei uns an der TU Darmstadt im leap-in-time Lab. Gerne führen wir Sie am 27. Mai 2020 durch unsere Zukunftstechnologien und setzen uns gemeinsam kritisch mit der Digitalen Zukunft auseinander.
Mit unserem Roboter würden wir Ihren Teilnehmern gerne die Möglichkeiten zu Einzelgesprächen anbieten und im Nachgang ein paar Fragen zur Wahrnehmung des Roboters stellen. Das bietet uns die Möglichkeit, Reaktionen unterschiedlicher Altersgruppen auf den Roboter miteinander zu vergleichen.“
So hieß es in der Antwort von Moritz Merkle von der TU Darmstadt und Mitarbeiter im „leap in time lab“. Hoch erfreut über diese Zusage konnten wir im Programmheft der Akademie für Ältere 2019/20 eine Fahrt zum Zukunftslabor für den 27.Mai 2020 ankündigen …
Doch dann kam Corona!
Der Ausflug in die Welt der Zukunft konnte vor drei Jahren nicht stattfinden mit der Perspektive, zu einem späteren Zeitpunkt das Projekt wieder aufzunehmen.
Anita Kunze, die 2.Vorsitzende der LAB, und ich haben am 9.Mai eine Erkundungsfahrt ins Zukunftslabor unternommen, um die Ausstattung „Zukunft“ kennenzulernen und unseren Besuch mit einer Mitarbeiterin zu besprechen. Neben dem 3D Drucker waren Roboter unterwegs, die Roboterfrau Lena war leider unpässlich, d.h. sie musste repariert werden. Die freundliche Atmosphäre, die Aufgeschlossenheit der Beschäftigten hat uns neugierig gemacht:
Am 4.Oktober 2023 fand die inhaltliche Vorbereitung in der LAB mit meinem Vortrag über Künstliche Intelligenz und ihren Anwendungen statt und am 25.Oktober 2023 fuhr die LAB Gruppe nach Darmstadt.
Was ist Künstliche Intelligenz?
Das Europäische Parlament definiert:
Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.
Grundlage der KI sind also die menschlichen intellektuellen Leistungen, die in der Lage sind, lernfähige Maschinen zu entwickeln und mit diesen Maschinen die eigenen Grenzen zu erweitern und technisch zu überwinden.
Sie wird in der Produktion, in der Forschung, in der Medizin, in der Landwirtschaft, in der Kunst, inzwischen auch von Journalisten und in vielen anderen Bereichen eingesetzt, auch um aus einer alten Demo Aufnahme mit John Lennon den neuen Song „Now And Then“ mit allen vier Beatles und der Originalstimme Lennons zu rekonstruieren.
Vorbild für die Informatiker ist das Gehirn des Menschen. In unserem Denkorgan sind 86 Milliarden Nervenzellen unterschiedlichster Form und Spezialisierung miteinander über die Nervenfasern mit etwa 1000 Kontaktpunkten auf jeder Zelle vernetzt. Über elektro-chemische Vorgänge und vielen Billionen von Kontaktpunkten, den Synapsen, werden Impulse durch die Nervenfasern weitergeleitet, immer in einer Richtung. Sie aktivieren innerhalb etwa einer Tausendstel Sekunde erregende oder hemmende Synapsen auf der folgenden Nervenzelle. Hemmende und erregende Impulse werden verarbeitet, bilanziert und weitergeleitet, wenn der Schwellenwert überschritten ist. Sie sind in der Komplexität der Vernetzung die Hardware menschlicher Intelligenz, die sich in den Jahrmillionen der Evolution entwickelt hat.
Das Gehirn und das gesamte Nervensystem des Menschen und seine Funktionen im Zusammenspiel mit der Außenwelt über die Sinne sowie die Rückkopplungen mit der inneren Befindlichkeit des Körpers, auch die anatomischen Voraussetzungen für unsere Bewegungen sind Vorlagen und Ideengeber für die Robotik oder andere Anwendungen Künstlicher Intelligenz wie z.B. das Textprogramm Chat GTP. Die Lernfähigkeit des Menschen, die schon vor der Geburt einsetzt und lebenslang eines der Kennzeichen des Lebendigen ist, kann man als Blaupause für die lernfähigen Maschinen betrachten. Wertvorstellungen, Emotionen, die individuellen Eigenschaften des Menschen als soziales Wesen wie Empathie oder Ablehnung stellen eine Herausforderung an die Informatiker dar, die aus heutiger Sicht für eine intelligente Maschine bisher nur in marginalen Ansätzen erkennbar ist. Eine Programmierung dieser komplexen Phänomene ist (noch?) nicht vorstellbar.
Unser Gehirn kann Millionen oder Milliarden analoge Muster speichern, z.B. Bilder, Bewegungsabläufe, Begriffe und deren Bedeutung, Töne, Klänge, Gerüche, Gefühle, Bewertungen und mehr. Verglichen mit heutigen Superrechnern, die die Energie einer mittelgroßen Stadt verbrauchen, genügt unserem Gehirn der Energiebedarf einer kleinen Glühbirne.
Die Wirtschaftsseite der VRM Lokalzeitungen hat am 30.10.2023 ein massives Problem bei der Anwendung von KI unter der Überschrift „Ein Stromfresser erster Güte“ aufgegriffen. Wissenschaftler rücken den Stromverbrauch bei den großen KI nutzenden Suchmaschinen in die Nähe des Energieverbrauchs ganzer Länder.
Intensive Forschungsarbeit ist auf dem Weg, um innovative Methoden zu erkunden mit dem Ziel, den Energieverbrauch zu minimieren. Forscher bei IBM in San Jose in Kalifornien haben nach einem Bericht der Zeitschrift „Nature“ einen KI Chip, den NorthPole – Prozessorchip“ entwickelt, der – inspiriert vom menschlichen Gehirn – einen eigenen internen Speicher besitzt und folglich Speicher und Verarbeitung auf einem großen Chip vereinigt. Da er weniger auf externe Daten zurückgreifen muss, arbeitet er effizienter als die bisherigen Chips und benötigt darüber hinaus erheblich weniger Energie. „Die Energieeffizienz ist einfach überwältigend“, urteilt der französische Nonoelektronik Forscher Damien Querlios in Paris. In Stuttgart laufen Studien, die die Wärme der Supercomputer zukünftig über die Wasserkühlung in die Heizungsanlage der Universität überführen wollen.
Der NorthPole-Chip ist ein neuronales Netz aus zahlreichen übereinander gelagerten Schichten aus Kernen, den Nervenzellen der Großhirnrinde nachempfunden, die untereinander verdrahtet sind, um Bilder zu erkennen oder andere Computeraufgaben zu erfüllen. Die unterste Schicht erfasst die elementaren Bestandteile wie die Pixel eines Fotos. Jede weitere Schicht fasst die Elemente der darunter liegenden Schicht zusammen, so dass von unten nach oben die Komplexität ansteigt und in der obersten Schicht ein Bild entsteht, z.B. ein Tier oder ein Gebäude. Es entspricht dem Deep Learning Verfahren, aus großen Datenmengen konkrete Muster heraus zu destillieren.
Anwendungsbeispiele aus der Landwirtschaft und der Medizin
Landwirtschaft
Schon lange werden Melkroboter in großen Ställen und Agrarroboter auf Feldern eingesetzt, sowohl bei der Aussaat als auch zur Dosierung der Düngung oder von Pflanzenschutzmitteln. Auch in Biobetrieben kann KI angewendet werden, die intelligenten Maschinen können die Kulturpflanzen vom Unkraut unterscheiden: die Unkräuter werden herausgerissen, sie vertrocknen und werden später als natürlicher Dünger untergepflügt. Viele Fahrzeuge werden mit Solarstrom versorgt.
Durch den Einsatz von Robotern in der Landwirtschaft werden einerseits Mitarbeiter eingespart und so die Personalkosten gesenkt, Personalknappheit in der Zukunft wird mit bedacht, andererseits wird durch die intelligenten Maschinen auch die Produktivität erhöht, weil diese Maschinen genau den Bedarf an Saatgut und Dünger dem jeweiligen Acker angepasst ermitteln und auf dem Feld einbringen.
Medizin
Ein persönliches Beispiel: Vor einigen Jahren habe ich auf meinem linken Fuß einen neuen schwarzen Leberfleck bemerkt, vorsichtshalber habe ich diese Beobachtung meiner Hautärztin gezeigt. Mit einer kleinen OP hat sie den Fleck entfernt und eine Gewebeprobe zur Überprüfung auf Krebszellen in die Pathologie eingeschickt. Das Ergebnis war negativ, Krebszellen wurden nicht gefunden. Ich war sehr erleichtert.
KI-gestützte Analyse von Gewebeproben auf Krebszellen
Im Deutschen Ärzteblatt 12/2021 berichtet Dr. Sebastian Försch, Arzt in der Mainzer Universitätsmedizin, dass es inzwischen zur Routine gehört, vor und während OPs Gewebeproben mithilfe von KI zu analysieren. Die Analysegeräte werden anhand von Millionen Fotos von Tumorzellen (Krebszellen) trainiert, mit denen die Gewebeproben in Bruchteilen von Sekunden verglichen werden. Selbstverständlich wird das Ergebnis von einem Facharzt der Pathologie überprüft. In den Bereichen der Diagnose in der Universitätsmedizin, wo KI angewendet wird, ist bei der Entscheidung über die Therapie die Erfahrung der FachmedizinerInnen gefragt, d.h. es findet immer eine Kooperation zwischen KI und den Praktikern statt. .Das Unternehmen Biontech in Mainz, das wir alle als Hersteller von Corona Impfstoffen kennen, entwickelt unter Anwendung von KI individuelle Impfstoffe, die das Immunsystem in die Lage versetzen sollen, bestimmte Tumorzellen zu erkennen und auszuschalten.
Das Da-Vinci-Operationsystem
Ein besonderes Gerät ist „der Roboter mit Skalpell und Greifer“ des „DA-Vinci-Operationssystems“. Dieses Gerät wird auch in Wiesbadener Krankenhäusern eingesetzt, z.B. in der HSK. Es unterstützt die Chirurgen u.a. bei Operationen der Prostata, der Nieren, der Bauchspeicheldrüse, auch bei Herzoperationen oder Operationen am Gehirn.
Der Chirurg sitzt vor einem Bildschirm vor dem stark vergrößerten drei dimensionalen Bild des Operationsfeldes. Die Roboterarme mit den OP Instrumenten werden durch kleine Körperöffnungen eingeführt und vom Operateur von außen durch Bedienungselemente gesteuert, vergleichbar mit einem Joystick. Ein eventuelles Zittern der Hände wird weggefiltert. So ist es möglich, schwierige Operationen, bei denen z.B. Nervenfasern nicht verletzt werden dürfen, mit hoher Präzision erfolgreich auszuführen.
Roboter zum Anziehen
Ein wichtiges Einsatzfeld für Roboter in der Medizin ist die Unterstützung gelähmter Menschen. Zusätzlich zu unserem Skelett wurden Exoskelette entwickelt. Dieses Robotersystem wird über der Kleidung getragen und ermöglicht freies Laufen. Es kann durch unterschiedliche Methoden gesteuert werden, z.B. durch Sprache mithilfe von Spracherkennungssoftware.
Auch in der Kardiologie kann KI eingesetzt werden für die schnelle Diagnose eines Herzinfarkts. Beim Infarkt zerfallen Herzmuskelzellen, dabei wird das Muskelprotein Troponin freigesetzt. Britische Kardiologen haben mithilfe von KI entdeckt, dass der Wert des Troponins im Blut neben den bekannten Anzeichen ein schneller und sicherer Hinweis für einen Infarkt ist, so dass in der Notfallaufnahme nach der Blutuntersuchung umgehend die Rettungsmaßnahmen eingeleitet werden können.
Schon vor einigen Jahren sind in China Roboter zu Assistenzärzten ausgebildet worden, die Ärzte begleiten. Für die Zukunft kann es eine Perspektive sein, in dünn besiedelten Gebieten eingesetzt zu werden, ausgerüstet mit einem Datenspeicher, der über das medizinische Wissen über alle denkbaren Krankheiten und Therapien verfügen müsste. Durch Sensoren, Beweglichkeit und Sprechvermögen könnten sie mit den Patienten Kontakt aufnehmen und sich nach getaner Arbeit höflich verabschieden.
Ein Ausblick
Die schon heute unübersehbaren Einsatzmöglichkeiten für KI müssen von uns Menschen beobachtet, überwacht und durch ethische Grundsätze reguliert werden, eine unaufschiebbare Aufgabe für Politik und Gesellschaft. Der Deutsche Ethikrat hat diese Aufgabe übernommen, er sollte eine breite gesellschaftliche Diskussion initiieren, die auch in den Schulen geführt werden sollte, denn die Zukunft hat schon lange begonnen.